Leben in Einklang mit Herde und Natur - Der Alltag der Farmer Alicia und Philippe
Was bedeutet für euch, in Harmonie mit der Natur zu leben? Wie sieht das in eurem täglichen Leben aus?
In Harmonie mit der Natur zu leben, kann vieles bedeuten. Für uns heißt es, ihre Gesamtheit zu respektieren, ihre Herausforderungen, aber auch die Vorteile. Ohne Natur ist der Mensch nichts. Das vergessen wir zu oft. Sie spiegelt sich im täglichen Leben wieder. Es ist eine wahre Lebensphilosophie. Bezogen auf das tägliche Leben, konsumieren wir nur Produkte aus biologischem Anbau. Wir begrenzen unseren Müll, so gut es geht, sortieren diesen, recyclen und kompostieren. Wir versuchen, weniger, dafür besser zu konsumieren. Wir gehen nicht in Supermärkte, denn diese sind maßgeblich verantwortlich für die Intensivierung der Landwirtschaft und dem daraus entstehenden Schaden.Wir haben uns der Bio-Landwirtschaft verschrieben und arbeiten dieses Jahr unter dem Motto “Natur und Fortschritt". Diese Spezialisierung beinhaltet den Respekt gegenüber der Natur und den Tieren. Unsere Tiere werden homöopathisch behandelt, wir reduzieren den Ausstoß von Nebenprodukten in die Natur. Unsere Schafe grasen und tragen mit ihren Exkrementen ohne Verschmutzung ebenfalls dazu bei.Unsere Tiere gehen so lange wie möglich nach draußen (wir sind auf einer Höhe von 1200 Metern, der Winter ist also lang hier) und wenn die Zeit für den Stall gekommen ist, bekommen sie Heu. Die Pferde bekommen eine Nahrungsergänzung zusätzlich, aber ohne Getreide. Dadurch, dass wir unserer Herde kein Getreide verfüttern, limitieren wir den Einfluss der Rasse auf die Ressourcen für den menschlichen Verzehr. Nur die Hühner bekommen Getreide, anders geht es nicht. Wir haben uns für winterfeste Rassen entschieden, die sicherlich weniger produktiv sind, jedoch viel widerstandsfähiger und besser an die Umgebung angepasst. All unsere Tiere leben und werden genährt durch den Respekt gegenüber ihrer eigenen Natur. Das meint also, in Einklang mit der Natur zu leben. Unsere Schafe, Ziegen, Kühe und Pferde leben in Herden und grasen so viel wie möglich.
Eurer Erfahrung und Vision nach, könnt ihr uns etwas über die Herausforderung in punkto Landwirtschaft in Regionen mit hohem Wolfaufkommen sagen?
Der Wolf und die übrigen großen Raubtiere wie Bär und Luchs stehen für eine neue Herausforderung. Zuallererst wurde die Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg der Industrie geopfert. Die Märkte öffneten sich auf der ganzen Welt, sehr zu ihrem Nachteil .... Frankreich kann traurigerweise nicht mithalten mit dem Neuseeländischen Lamm, dem Argentinischen Rind und demnächst auch Kanada. Große Raubtiere sind daher ein Synonym für zusätzliche Herausforderungen, in einem System, in dem alles schnell gehen muss und wo Landwirte oft multitask arbeiten.Kleine Herden wie unsere sind davon weitgehend verschont geblieben. In einigen Regionen hat das Schafehüten seine Bedeutung bewahrt. Das gilt natürlich nicht für größere Herden, von 2000 Tieren und mehr. Die Schäfer mussten neu lernen, wie man mit Schutzhunden arbeitet. Das heißt Zeit, ein Faktor, der nicht oft vorhanden ist. Auch haben nicht alle Schäfer eine Affinität zu Hunden. Sie zu überzeugen kann sehr schwierig sein. Genauso wie die Tatsache, dass nicht alle Touristen eine Affinität zu Schutzhunden haben. Dies endet in einer vertrackten Situation.Auch wenn unsere Herdeschutzhunde sehr freundlich sind, bin ich doch froh, wenn ich draußen nur wenig auf Menschen treffe. Denn Menschen bringen sich manchmal im Angesicht von diesen Hunden in gefährliche Situationen.In der Hoffnung, irgendwann von unserer Produktion leben zu können ist es auch notwendig, den Wert der Produkte wieder neu zu lernen. Dies geschieht durch Vereinigungen, Bauernhof-Verkauf, Märkte. Dies ist für manche Landwirte eine echte Herausforderung.
Welche Lösungen gibt es, eine Herde zu schützen, die sich mit dem Angriff eines Wolfrudels konfrontiert sieht. Was sind die effizientesten?
Wir leben im Gebiet eines gut etablierten Wolfsrudel. Wir leben das gesamte Jahr über hier. Um uns herum ist pure Natur mit all ihren wilden Tieren. Im ersten Sommer haben wir teilweise unser Ziegenherde verloren – teilweise wegen dem Wolf, teilweise wegen der Hunde, die zwar auf dem Hof lebten, aber einfach schlecht trainiert waren. Um unsere Sicherheit zu garantieren, mussten wir also unsere Methoden neu überdenken. Wir bewachen unsere Herde: Sobald sie ins Freie kommen sind wir da. Wir haben die Zahl der Herdenschutzhunde von zwei auf sechs aufgestockt. Den Exkrementen nach besteht das Rudel momentan aus fünf bis sechs Tieren. Da scheint es vernünftig, dass unsere Hunde die gleiche Zahl aufweisen. Unsere Tiere kehren jeden Abend in den Schafstall zurück.Unsere Hunde sind sehr effektiv, denn sie leben und arbeiten zusammen. Sie sind vergleichbar mit einem Rudel, denn sie legen das gleiche Verhalten an den Tag. Wir haben auch vier Hütehunde, einer davon darf demnächst in den Ruhestand gehen. Dieser begleiten uns jedoch immer, wenn wir in die Berge gehen. Unsere Hunde tragen viel zum Schutz unserer Herde bei. Wir wussten übrigens, dass Wölfe in dieser Gegend leben, bevor wir hier ansässig wurden. Wir wussten, dass wir unser Leben hier daran anzupassen hätten.Für diejenigen, die bisher ohne die Anwesenheit von Wölfen lebten, ist es viel schwieriger, die Gewohnheiten zu ändern. Es ist jedoch nicht unmöglich! Es gibt keine General-Lösung zum Schutz gegen die Wölfe. Es wird immer eine Kombination sein. Der Wolf jedoch ist eine sehr intelligente Kreatur und wird sich auch an verschiedene Möglichkeiten zum Angriff auf die Herde anpassen.
Könnt ihr uns zur Rolle der Herdenschutzhunde mehr erzählen? Welche Vorteile und welche Nachteile gibt es?
Die Herdenschutzhunde sind für den Schutz einer Herde essentiell. Aber wir müssen unseren gesamten Ansatz in punkto Hunden überdenken.Zuerst sollten sie nicht als einfaches Werkzeug oder finanzielle Möglichkeit gesehen werden ( Anm: in Frankreich unterstützt die Regierung Landwirte mit Herdenschutzhunden finanziell). Unsere Hunde sind Teamplayer und ich habe großes Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Während meiner Wache sind sie meine Wächter. Sie warnen und jagen Eindringlinge, die der Herde zu nah kommen. Ihr Nachteil besteht in den Unterhaltungskosten. Wir bekommen für jeden Hund jährlich 815 . In unserem Fall deckt diese Unterstützung nicht die Kosten für Futter. Ein anderer großer Nachteil ist die Interaktion zwischen Menschen und Herdenschutzhunden. Wie gesagt, das kann richtig kompliziert werden. Darüber hinaus können Hunde auch einen Einfluss auf die Wildnis haben, der über den Wolf hinaus geht. Sie können Jäger sein und manchmal selbst kleinere Tiere töten. Dies ist jedoch auch ihre Stärke, denn sie selbst handeln wie ein Wolfsrudel und können dadurch von ihren wilden Cousins als solche angesehen werden. Hier an diesem Ort kämen wir nicht ohne sie klar. Der Wolf ist ein solcher Opportunist, dass er auch näher an den Hof herankommen würde. Dank der Hunde ist die Umgebung für unsere Kühe und Pferde, die das ganze Jahr grasen, sicher.
Die öffentliche Meinung ist, dass der Einsatz von Herdenschutzhunden gefährlich sein kann. Was sagt ihr als Besitzer dazu?
Zu sagen, der Einsatz von Herdenschutzhunden sei gefährlich ist so, als würde man sagen, einen Hund zu halten, sei gefährlich! Wir arbeiten mit Lebendigem, daher kann auch schon ein einfaches Schaf gefährlich sein.Wir haben keine vollständige Vision, was den Einsatz unserer Hunde anbelangt. Wir denken immer noch nach alter Tradition, dass Hunde nur die Herde sehen sollten. Wir sorgen bei ihnen für Unsicherheit, weil ihre Bedürfnisse nicht respektiert werden. Dank ihres Gebelles sehen wir jedes Jahr viele Menschen. In der Tat ist es sehr laut, wenn insgesamt 14 Hunde bellen. Doch wir hatten bislang niemals Probleme. Der einzige, der in der Gruppe Schwierigkeiten macht, ist mein Australischer Cattle Dog, Lawgi!Ein Herdenschutzhund ist vor allen Dingen ein Hund. Er hat dieselben Bedürfnisse wie ein Haushund. Nach dem Verschwinden des Wolfes in Frankreich wurde der Pyrenäenberghund ein exzellenter Familienhund, natürlich mit seinen speziellen Eigenschaften. Aber er konnte im Haus leben. Der Pyrenäenberghund ist also nicht gefährlicher als eine andere Hunderasse. Natürlich braucht es viel Zeit, eine erfahrene Hand und gutes Training, damit er zu einem sicheren Begleiter wird.
Welchen Rat könnt ihr Landwirten geben, die eurem Beispiel folgen wollen?
Es gibt nur einen Rat: Respektiere deinen Hund. Gib ihm Zeit, seine Fähigkeiten zu verbessern. Unsere Hündin Leche brauchte sechs Monate, ehe sie der Herde folgen konnte. Wahrscheinlich war sie von den Ziegen und Schafen im Stall attackiert worden, daher hatte sie Angst. Jetzt ist sie zwei Jahre alt und füllt ihre Rolle des Herdenschutzhundes perfekt aus!
Zum Schluss: Was könnt ihr an Menschen weitergeben, die nicht die Möglichkeit haben, solche Erfahrungen zu machen?
Wir schätzen uns sehr glücklich, diese Arbeit zu tun, unsere Leidenschaft zu leben. Die Natur zu genießen und täglich von all unseren Tieren umgeben zu sein. Zusammenleben ist möglich und notwendig. Wir müssen die Methoden erlernen, es möglich zu machen und uns einbringen.Danke, Alicia und Philippe, für das erkenntnisreiche Gespräch.