Irreführender Verhaltenskodex
von Dunia Rahwan
Der Verhaltenspädagoge richtet mehr Schaden an als ein Dynamitfass. Fast alle Ratschläge, die andere Besitzer oder selbsternannte Hundeexperten im Hundebereich geben, werden dich zu 100% in die Irre führen. Um Ratschläge zur Erziehung eines Hundes geben zu können, sollte man zunächst wissen, wie man Hunde „liest. Nur wenige Menschen sind in der Lage, das wahre Wesen eines Hundes innerhalb von Minuten zu verstehen, und es handelt sich in der Regel um Profis, die keine zufälligen Ratschläge erteilen. Es kursieren zu viele Gerüchte über Hunde und wie man sie erzieht und Herausforderungen löst. Oft widersprechen diese Ratschläge dem Wohl unserer tierischen Freunde, da sie keine wissenschaftliche und ethologische Grundlage haben. Mit anderen Worten, die Ratschläge sind absolut sinnlos!
Der große Hund braucht den Garten, der kleine Hund fühlt sich insbesondere im Haus wohl
Ich beantworte auf dieses weit verbreitete Gerücht, indem ich hier zwei Rassen vergleiche: den kleinen agilen Jack Russel und den riesigen Barsoi-Windhund, nicht einmal zehn Kilogramm im Gegensatz zu einem halben Zehnter Eleganz. Unter den beiden Rassen ist der hyperaktive Jack Russel zweifellos derjenige, der vor allem in den ersten Lebensjahren am dringendsten einen Spaziergang benötigt, während sich normalerweise die Greyhounds, selbst die übergroßen Rassen, sich zu Hause wie Katzen verhalten und du ihn kaum bemerken wirst. Der Garten wird genutzt, wenn Hunde noch jung sind, um sie daran zu gewöhnen, sich draußen aufzuhalten, und wenn sie alt und gebrechlich sind, kümmern sie sich nicht mehr grossartig um ihre Bedürfnisse und haben möglicherweise Schwierigkeiten, Treppen zu steigen oder sich gar zu bewegen. Generell glaube ich nicht, dass es überhaupt einen Gartenhund gibt. Für bestimmte im Freien lebende Rassen, wie z. B. Neufundländer, wird der Außenbereich gerade in den heißen Jahreszeiten, wenn es in der Wohnung oder im Haus zu heiß wird, zu einem Pluspunkt, während bei besonders schützenden und territorialen Rassen der Garten sogar kontraproduktiv sein könnte, weil der Hund die Umgebung des Hauses überwacht und die Anwesenheit von Fremden mit einem lauten Bellen signalisiert. Was die Nachbarn natürlich nicht erfreut! Der Garten ist eine große Annehmlichkeit, wenn ein Hund in der Familie lebt, aber auch eine Lebenssituation ohne Garten, schließt die Möglichkeit nicht aus, einen mittelgroßen oder großen Hund zu adoptieren. Für einen Hund ist die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe ausschlaggebend. Ein Garten kann ein Pluspunkt sein, nur wenn der Lebensmittelpunkt darauf beschränkt ist, laufen das Leben der Familie und das des Hundes nebeneinanderher. Selbst die größten Hunde werden immer das Sofa mit bevorzugten Familienmitgliedern vorziehen als sich allein im Garten auszuhalten.
Hunde lieben es, von Fremden gestreichelt zu werden
Wir fühlen uns meistens nicht so wohl einen fremden Hund zu berühren, auch wenn er sich freundlich verhält und unsere Aufmerksamkeit einfordert. Der Kontakt wird hergestellt, wenn wir uns dem Hund nähern oder ihm unsere Hand hinhalten, und er bewegt sich auf uns zu, um uns zu beschnuppern und kennenzulernen, aber wir interpretieren diesen Impuls als Aufforderung zum Streicheln. Falsch!
Lasst uns einmal darüber nachdenken: Warum sollte ein Hund durch die Gegend gehen und um die Aufmerksamkeit von Fremden zu buhlen? Sogar Zwingerhunde machen dies nicht, obwohl diese die die meiste Zeit ihres Lebens leider allein verbringen. Wenn ein Kind bei Fremden Liebeseinheiten suchen würde, würde es seltsam und fehl am Platz erscheinen, während wir von einem Hund eine 100%ige Zuneigung erwarten. Als ob das nicht genug wäre, gehört der körperliche Kontakt mit der Hand, das Streicheln, nicht zum natürlichen Verhalten des Hundes, da ein Hund kein Affe ist. Primaten, einschließlich Menschen, kommunizieren Zuneigung durch Umarmen, Berührungen, Küssen, während Karnivoren, zu denen der Hund gehört, Zuneigung durch gegenseitiges Knabbern und Lecken (Pflegeverhalten) oder durch das Teilen von Ruhe und Schlafstellen, wie z.B. aneinander kuscheln, kommunizieren. Der Hund gewöhnt sich an diese seltsame Art der Liebesbekundung und lernt Streicheleinheiten sehr zu schätzen, nimmt sie aber meist nur von Mitgliedern der eigenen sozialen Gruppe oder von engen Freunden an, nicht von jedem X-Beliebigen. Ein weiterer fataler Fehler ist es, den Hund am Kopf zu berühren, ohne zu wissen, dass dies für jeden Hund mit Abstand die sensibelste und empfindlichste Stelle ist. Wir handeln instinktiv, der Hund nähert sich (um zu schnuppern) und wir strecken die Hand aus, die sich auf seinen Kopf legt und ihn stört. Wenn wir uns mit einem fremden Hund anfreunden wollen, ist es besser, ihn zu ignorieren und für ihn da zu sein, wenn er selbst beschließt, sich anzufreunden; kurz gesagt, überlassen wir dem Hund die Initiative!
Wenn dein Hund ins Haus macht, halte seine Schnauze in das «Pipi» und bestrafe ihn
Es gibt immer einen Grund, warum der Hund physiologische Bedürfnisse im Haus freisetzt, und um das Problem zu lösen, müssen wir es zuerst verstehen. Der Welpe mit ein paar Monaten hat noch nicht die richtige Kontrolle über seinen Schließmuskeln; deshalb, wenn ihm die Dringlichkeit überkommt, erleichtert er sich, wo er gerade ist, er kann nichts anderes tun. Wenn er bestraft wird, indem er zum Beispiel seine Schnauze in seine Pisse gesteckt bekommt und ihn schlägt, lernt er, aus Angst vor seinem Menschen heimlich ins Haus zu machen, und frisst sogar manchmal selbst den Kot, damit er verschwindet und er nicht bestraft wird. Nach der Jugendzeit sollte der Hund draußen immer machen, im Gegenteil, es könnte ein gesundheitliches Problem wie Blasenentzündung oder Ruhr geben oder er könnte Verhaltensauffälligkeiten anzeigen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Aufnahme eines neuen Familienmitglieds oder die Angst, das Haus zu verlassen, oder vielleicht wird der Hund nicht ausreichend spazieren geführt. In jedem der genannten Fälle werden die Bestrafungen des Hundes nicht dazu führen, sein Geschäft nur draussen zu entrichten, im Gegenteil es könnte die Situation sogar verschlimmern.
Wenn dein Hund zieht, verwende ein Würgehalsband
Das Würgehalsband ist ein oft falsch eingesetztes Hilfsmittel. In einigen Fällen ist es notwendig, dieses bei einem Spaziergang zu verwenden, um sich selbst als auch den Hund sicher zu fühlen. Dieses Hilfsmittel ist sicherlich keine grundlegende Lösung für das Problem. Auch in diesem Fall, wenn der Hund zieht, hat das einen Grund: Er will mehr Platz zum Schnüffeln gewinnen, er hat Angst vor der Umwelt und versucht, dieser zu entkommen, er ist ungern an der Leine, er vertraut dem Hundeführer nicht, er hat Angst vor anderen Hunden und/oder Menschen ... Dies sind nur einige der möglichen Ursachen, die einen Spaziergang zu einem anstrengenden Tauziehen werden lässt. Es kann sein, dass sie mit dem Würgehalsband irgendwann aufhören zu ziehen, weil sie drohen zu ersticken, also fangen sie an zu husten, man sieht, wie sie verzweifelt nach Luft schnappen, aber wenn sie sich erholt haben, fangen sie so schnell wie möglich wieder an zu ziehen. Um das Problem zu lösen, müssen wir uns mit Geduld wappnen und den Hund an der Leine erziehen, die ein Kommunikationsmittel sein soll und keine Folter.
Der Besitzer ist der Rudelführer, der Hund frisst nach der Familie und das Sofa & das Bett sind Tabuzonen
Ein weiterer Mythos, den es zu aufzulösen gilt, ist der des Rudelführers, der uns das Gefühl gibt, «Supermänner» und «Superfrauen» zu sein. Tatsächlich hat die Wissenschaft diesen Begriff seit einiger Zeit durch das Wort „Hundeführer“ ersetzt, dass die Rolle in einer sozialen Gruppe bzw. Familie besser beschreibt. Einige Hunde haben einen geselligen Charakter, andere dominieren, aber es wäre eine Irreführung, sie als unterwürfig und die anderen als Rudelführer zu definieren, wenn die Beziehungen, die in der sozialen Gruppe vorherrschen, viel komplexer sind. Seit Jahrzehnten kursiert das Gerücht, dass wir unsere Rolle genau definieren sollten, indem wir dem Hund nach dem Fressen den Napf wegnehmen sollten, und hier überlege ich, wie ich reagieren würde, wenn sie mir meinen Schokokuchen wegnehmen würden. Ich wäre sehr wütend, also warum sollte der Hund solch einen dummen Missbrauch akzeptieren? Im Gegenteil, ich empfehle dem Hund seine Nahrung zu geben, bevor wir uns selbst an den Tisch setzen, denn mit vollem Magen wird unser tierischer Freund weniger motiviert sein zu betteln und lässt uns in Ruhe essen. Die Rolle des Rudelführers wird nicht einmal danach definiert, wer Betten und Sofas belegt, im Gegenteil: Wie oben geschrieben, schlafen Hunde gerne mit dem Rest des Rudels! Problematisch ist es nur, wenn der Hund seine Ruhestelle nicht teilen möchte und diese vor anderen Familienmitgliedern schützt. In diesen Fällen ist es ratsam, wenn jeder seinen eigenen exklusiven Ruheplatz hat.
Rüden vertragen sich nicht mit Rüden
Jeder Hundebesitzer kennt diese Frage auf jedem Spaziergang „Männchen oder Weibchen?“, als könnte uns das Geschlecht eines Hundes vor jeglichem Streit schützen. Was wir jedoch fragen sollten, ist, ob der Hund sozial kompatibel ist oder nicht. Ob Rüde oder Hündin, ein Hund, der in der Lage ist, seine Mitmenschen zu lesen und sich ohne Missverständnisse verständlich machen kann, zieht es vor, nicht in Schwierigkeiten zu geraten; Hunde sind friedliche Tiere, die unnötige Kämpfe vermeiden, da in der Natur eine Wunde zum Tod führen kann und das vorherrschende Ziel jedes Lebewesens ist das reine Überleben. Der Kampf ist daher der letzte Ausweg. Oft sind wir es aber, die die Hunde in Schwierigkeiten bringen, zum Beispiel indem wir sie auf Hundewiesen freilassen, wo sie gezwungen sind, mit fremden Hunden zu agieren. Manche Hunde sind vielleicht unfreundlich, können sich in solchen Situationen nicht distanzieren oder sich der Situation entziehen. Um Probleme bei der Sozialisierung zu vermeiden, vermeiden wir unnötige Aufregung und lassen die Hunde in großen und nicht eingezäunten Räumen frei laufen: Auf diese Weise versuchen die Hunde, nur mit den ihnen sympathischen Kameraden zu interagieren, so kann man sich von „Mobbern“ aus der Nachbarschaft fernhalten. Egal ob sie männlich oder weiblich sind.
Kleine Hunde sind nicht stubenrein
Dieses Gerücht macht vielen kleinen Hunden das Leben schwer. Ich ging in Häuser, wo mir offen gesagt wurde, dass der kleine Hund nur bei gutem Wetter raus gehe, sonst bleibe er in der Wohnung und entledige sich im Haus. Nachdem wir die Katzen in unseren Häusern eingesperrt haben, versuchen wir dies auch mit kleinen Hunden. Es wird zu einer gängigen Praxis: Diejenigen, die einen Hund wollen, aber wenig Zeit haben, sich ihm zu widmen, wählen meist einen kleinen tierischen Kameraden aus. Unsere Wohnungen bieten Hunden und Katzen jedoch zu wenig Anregung, sie sind langweilig und eintönig, und die in den vier Wänden eingesperrten Tiere sind oft depressiv und unterfordert. Hunde verlassen das Haus, um sich zu erleichtern und etwas über die Welt zu lernen, und einen Welpen seines Rechts auf Freiheit zu berauben, bringt oft ernsthafte Verhaltensprobleme mit sich, wie Trennungsängste, Vandalismus im Haus, ständiges Bellen, Aggressionen als auch Angstzustände. Auch wir würden verrückt werden, eingesperrt im Haus zu sein. Wir erfuhren von ähnlichen Einschränkungen im Zusammenhang mit der jüngsten Pandemie, warum sollte ein Hund oder eine Katze so glücklich sein? Man kann im Gefängnis nicht zufrieden sein, auch wenn es ein goldener Käfig ist.
Im Tierheim gibt es nur Problemhunde
Das Tierheim ist kein Gefängnis für Hunde, in dem „Hundeverbrecher“, die Verhaltensstörungen haben, eingesperrt sind. In der Tat haben manche Hunde auch Verhaltensstörungen, aber sie repräsentieren nur einen kleinen Teil, der Rest sind Lebewesen, die das Pech hatten an die falschen Menschen zu geraten, die Verlassenheit, Ablehnung, Misshandlung erlitten haben oder verloren gegangen sind und von niemandem mehr gewollt wurden. Sie sind Kämpfer, Hunde, die die Fähigkeit hervorgebracht haben, allen Widrigkeiten zu trotzen und die es geschafft haben, selbst in diesem Teufelskreislauf ihr Gleichgewicht zu finden. Sie sind stolz, stark und manchmal zerbrechlich, eine Eigenschaft, die gerne vergessen wird, mit dem illusorischen Glauben, dass ein gekaufter Hund ausgeglichener ist als ein Hund aus dem Tierheim. Falsch! In der Tat sind viele Zuchten in den Händen skrupelloser Menschen, die sich nicht um das Wohlergehen der Tiere kümmern. Welpen wachsen meist in einer Umgebung auf, die für das kognitive Gleichgewicht ungeeignet sind, da die meisten Rüden und Hündinnen oft eingesperrt in Zwingern und Gehegen leben und gestresst von zu vielen Schwangerschaften sind, so dass sie die elterliche Rolle gar nicht wahrnehmen können. Welpen wachsen in einer dysfunktionalen Umgebung mit unfähigen Eltern auf und haben aus dem Grund zum Teil schwere Verhaltensstörungen. Ist es also nicht ethischer und wirtschaftlicher, einen der vielen rohen Schätze zu adoptieren, die in Tierheimen versteckt sind?